Die Geschichte der Britzer Wiesen – Ein Gartenstück Berliner Zeitgeschichte

Die Geschichte der Kolonie Britzer Wiesen
Dort, wo heute zwischen blühenden Obstbäumen und gepflegten Beeten Kinder spielen, entstand einst eine kleine Welt für sich – mitten in einer Stadt, die im Begriff war, aus den Fugen zu geraten.
Die Kolonie Britzer Wiesen wurde am 5. September 1940 in Berlin-Britz gegründet. Ursprünglich war sie als reine Kleingartenanlage geplant – ein Ort zum Anbauen, Entspannen und Durchatmen. In einer Zeit, in der die Welt von einem Krieg erschüttert wurde, wollte man den Menschen zumindest im Kleinen einen Raum geben, in dem sie ihre Hände in die Erde stecken und etwas Eigenes schaffen konnten. Doch wie so oft kam es anders.
Die folgenden Kriegsjahre verwandelten die Stadt, tausende Menschen verloren ihre Wohnungen, ihre Sicherheit – ihren Alltag. In genau dieser Zeit wurden die Britzer Wiesen zu mehr als nur einer Gartenkolonie. Sie wurden zur Heimat auf Zeit – oder für manche sogar auf Dauer. Inmitten von Gemüsebeeten und Apfelbäumen entstanden Lauben, die mehr als einfache Gartenhäuschen waren. Sie waren Schutzräume, Rückzugsorte und oft die einzige Unterkunft, die den Menschen noch blieb. Gleichzeitig wurden die Parzellen zu wichtigen Versorgungsinseln – mit selbst angebautem Gemüse, Obst und Kräutern konnten viele Familien die schlimmste Not überbrücken. Der Garten wurde zur Lebensgrundlage.
Nach dem Krieg blieb vieles provisorisch – aber das Leben ging weiter. Zwischen schmalen Wegen, kleinen Gartenzäunen und wuchernden Hecken entwickelte sich eine lebendige Gemeinschaft. Die Lauben wurden liebevoll ausgebaut, Familien feierten hier Geburtstage, Nachbar*innen halfen sich gegenseitig beim Gießen und Ernten. Die Britzer Wiesen waren nicht nur grün – sie waren lebendig.
Doch mit der Zeit veränderte sich auch diese Welt. Die Wohnlauben verschwanden allmählich, neue Vorschriften kamen, und das Dauerwohnen wurde aufgegeben. Was blieb, war die Idee – ein Ort des Gärtnerns, der Ruhe und des sozialen Miteinanders.
Heute – über 80 Jahre nach ihrer Gründung – sind die Britzer Wiesen ein fester Bestandteil des Berliner Südens. Die Anlage erstreckt sich über mehr als 211.000 Quadratmeter und beherbergt 442 Parzellen. Zwischen dem Hochspannungsweg und dem Ortolanweg wächst hier, was Menschen mit Liebe pflegen: Obst, Gemüse, Salat, Äpfel, Birnen, Kirschen, Küsse und vieles mehr. Die Wege tragen Geschichten, die man hören kann, wenn man zuhört: vom Krieg, vom Wiederaufbau, vom Neubeginn.
Und doch ist die Kolonie nie stehengeblieben. Sie ist mit der Zeit gegangen, hat sich angepasst, sich weiterentwickelt. Heute öffnet sie sich auch nach außen: Ein Naturlehrpfad mit über 20 anschaulichen Tafeln lädt Spaziergänger*innen dazu ein, Flora und Fauna des Kleingartenbiotops kennenzulernen. Besonders schön: Ein eigener Schulgarten wurde eingerichtet, in dem Kinder selbst pflanzen, graben und erleben können, wie aus einem winzigen Samenkorn eine Möhre, ein Kürbis oder vielleicht sogar ein kleines Wunder wächst.
Seit 2023 ist die Kolonie außerdem Teil eines Pilotprojekts zur Förderung ökologisch wertvoller Flächen. In Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt Neukölln und dem Landschaftspflegeverband Berlin-Süden wurden heimische Hecken gepflanzt, Flächen entsiegelt und Lebensräume für Insekten, Vögel und Kleintiere geschaffen – ein aktiver Beitrag zum Erhalt der Biodiversität mitten in der Großstadt.
Darüber hinaus leisten die Britzer Wiesen – wie viele Kleingartenanlagen – heute einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen die Folgen des Klimawandels. Ihre grünen Flächen wirken wie natürliche Klimaanlagen: Sie kühlen das Stadtklima, verbessern die Luftqualität und speichern Regenwasser. In Zeiten zunehmender Hitze, versiegelter Flächen und dichter Bebauung wird deutlich, wie wertvoll solche grünen Oasen für eine lebenswerte, widerstandsfähige Stadt sind.
Die Kolonie Britzer Wiesen ist dabei nicht nur ein Ort des Gärtnerns – sie ist auch ein Ort der Begegnung. Offen für alle Generationen und Kulturen bietet sie Raum für Austausch, Zusammenhalt und gemeinsames Erleben von Natur mitten in der Großstadt.
Was geblieben ist, ist das Herzstück der Kleingartenidee: Ein Platz, an dem Stadtmenschen zur Ruhe kommen, an dem Hände arbeiten und Gedanken zur Ruhe finden dürfen. Ein Fleck Natur – mitten in Berlin – mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

